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Fachinformationen zu häuslicher Gewalt

Die Stiftung Frauenhaus Zürich engagiert sich seit 45 Jahren für gewaltbetroffene Frauen und ihre Kinder. Neben dem Betrieb des Frauenhauses Zürich Violetta und des Nachbetreuungsangebots Vista Nova sind wir auch im Bereich Prävention und Bildung tätig. Wir informieren als Fachstelle über häusliche Gewalt, machen Öffentlichkeitsarbeit, bieten Referate zum Thema an und sind im politischen und sozialen Umfeld aktiv, um die Situation gewaltbetroffener Frauen und ihren Kindern und besonders auch von Migrantinnen zu verbessern.

 

Was ist häusliche Gewalt?

«Gewalt fängt nicht an, wenn einer einen erwürgt. Sie fängt an, wenn einer sagt: ‹Ich liebe dich, du gehörst mir! ›»

 

Das Zitat von Erich Fried bringt es auf den Punkt: Häusliche Gewalt beginnt früh und häufig subtil.

 

Definition

«Häusliche Gewalt liegt vor, wenn Personen innerhalb einer bestehenden oder aufgelösten familiären, ehelichen oder eheähnlichen Beziehung physische, psychische oder sexuelle Gewalt ausüben oder androhen.» (GSG § 2 Abs. 1)

 

Häusliche Gewalt umfasst verschiedene Formen körperlicher, sexueller, psychischer oder wirtschaftlicher Gewalt zwischen Personen jeden Geschlechts und Alters:

  • Körperliche Gewalt: jemanden schlagen, stossen, schütteln, an den Haaren reissen, ohrfeigen, mit den Füssen treten, beissen, würgen usw.
  • Sexuelle Gewalt: unerwünschte Berührungen, unerwünschte sexuelle Handlungen, sexuelle Erniedrigung, Vergewaltigung usw.
  • Psychische Gewalt: gezielte Beleidigungen und Demütigungen, Drohung und Erpressung, andauernd beschimpfen, sinnlose Handlungen erzwingen, verzerrte Wahrnehmungen einreden, verleumden, einsperren, Kontakte mit anderen Personen verbieten oder kontrollieren usw.
  • Wirtschaftliche Gewalt: Bildung/Ausbildung/Berufstätigkeit verhindern, kein Haushaltsgeld geben, Lohn wegnehmen, zu Arbeit zwingen, Zwangsprostitution usw.

 

Weitere Formen häuslicher Gewalt

  • Stalking (verfolgen, auflauern, belästigen)
  • Zwangsheirat

Wen betrifft häusliche Gewalt?

Häusliche Gewalt findet meistens innerhalb der Familie und des Haushalts statt – dort, wo wir eigentlich Geborgenheit, Liebe und Sicherheit erwarten.

 

Oft wird häusliche Gewalt in einer Paarbeziehung ausgeübt. Sie findet aber auch zwischen Personen statt, die nicht (mehr) im selben Haushalt wohnen oder in einer anderen familiären Beziehung zueinander stehen. Auch Gewalt vom Ex-Partner, zwischen Vater und Sohn, zwischen Schwiegermutter und Schwiegertochter, unter Geschwistern usw. gilt als häusliche Gewalt.

 

Gewalt von Frauen gegenüber ihren Partnern oder Partnerinnen ist ebenfalls eine Realität, doch Frauen erleben sehr viel häufiger häusliche Gewalt durch Männer. Über 70 Prozent der Gewaltbetroffenen sind Frauen und Mädchen. Auch von sexueller Belästigung sind zu über 90 Prozent Frauen betroffen, während die Gewalt fast ausschliesslich von Männern ausgeübt wird.

 

Alle zwei Wochen stirbt in der Schweiz eine Person infolge häuslicher Gewalt; davon sind 75 Prozent Frauen und Mädchen. Die offiziellen Zahlen zu häuslicher Gewalt in der Schweiz sind dabei nur die Spitze des Eisbergs. Vieles bleibt im Verbogenen.

Zahlen zu häuslicher Gewalt in der Schweiz

Siehe auch: Wie häufig ist häusliche Gewalt?

 

Auch Kinder und Jugendliche erleben Formen von Gewalt und sexuellem Missbrauch durch ihre Väter oder Mütter, durch Verwandte und ihnen vertraute Personen. Kinder und Jugendliche sind von häuslicher Gewalt immer mitbetroffen, sei es direkt oder indirekt durch das Miterleben von Gewalt unter Erwachsenen. Indirekte Gewalterfahrungen können für Kinder und Jugendliche ebenso traumatisierend sein wie Gewalt, die sie selber erleben.

 

Oft werden Gewalterfahrungen transgenerational weitergegeben. Transgenerational meint die meist unbewusste Weitergabe traumatischer Erfahrungen an nachfolgende Generationen. So kann es sein, dass nachfolgende Generationen an Traumafolge-Symptomen leiden, ohne dass sie das Trauma selbst erlebt haben.

 

Einige der Hauptmerkmale von häuslicher Gewalt

  • Zwischen den Betroffenen besteht eine emotionale Bindung und/oder Abhängigkeit. Eine Trennungsabsicht oder eine vollzogene Trennung/Scheidung löst diese Bindung nicht automatisch, sondern führt oft zu noch mehr Gewalt.
  • Häusliche Gewalt findet meistens in der eigenen Wohnung oder in anderen privaten Räumen statt.
  • Das Ziel der häuslichen Gewalt besteht meistens darin, die Partnerin zu kontrollieren, zu dominieren, einzuschüchtern oder zu bestrafen.
  • Häusliche Gewalt ist kein normaler Streit und ist meistens nicht ein einmaliger Ausbruch, sondern ein wiederholtes, systematisches Gewaltverhalten.
  • Häusliche Gewalt folgt meistens einem bestimmten Muster (Gewaltkreislauf): Auf die Gewalt folgt oft eine Phase der Entschuldigung und Versöhnung. Irgendwann beginnt sich die Spannung wieder aufzubauen, bis sie sich wieder entlädt und es wieder zu Gewalt kommt. Die Gewalt nimmt in der Regel an Häufigkeit und Schwere zu.

Der Gewaltkreislauf

Mit dem Ausdruck «Gewaltkreislauf» wird ein typisches Muster bezeichnet, nach dem sich häusliche Gewalt respektive Gewalt in Paarbeziehungen vollzieht.

 

Der Begriff geht auf Lenore E. Walker zurück («The Battered Woman», 1980, deutsch: «Warum schlägst du mich?», 1994).

 

Der Gewaltkreislauf besteht vereinfacht gesagt aus drei Phasen: (1) Spannungsaufbau, (2) Gewaltausbruch, (3) Zuwendung, Reue, Versöhnung. Das bedeutet, dass sich häusliche Gewalt meistens nicht plötzlich ereignet, sondern am Ende einer Phase, während die Spannungen und Konflikte in der Beziehung kontinuierlich zugenommen haben. Die gewaltausübende Person wird in dieser Zeit zunehmend kontrollierender, gereizter oder aggressiver; die gewaltbetroffene Person versucht oftmals vergebens, die Situation zu entschärfen und sich den Forderungen anzupassen. Schliesslich eskaliert die Spannung in einem Ausbruch von körperlicher, verbaler, emotionaler und/oder sexueller Gewalt.

 

Nach der Gewalttat folgt häufig eine Phase, in der die gewaltausübende Person Reue zeigt und besonders fürsorglich ist. Manchmal wird das schädliche Verhalten auch geleugnet. In dieser Phase der Versöhnung scheint häufig ein Neuanfang stattzufinden. Doch wenn die zugrundeliegenden Probleme nicht angegangen werden (Eifersucht, Kontrollverhalten, fehlende Emotionsregulation, unverarbeitete Traumata usw.), kommt es bald zu weiteren Spannungen und Gewaltausbrüchen.

 

Der Kreislauf kann über Jahre hinweg andauern, da die betroffenen Personen immer wieder Hoffnung schöpfen. Oft normalisieren sie die Gewalt und geben sich die Schuld daran. Aus Scham verheimlichen sie ihr Leiden vor anderen.

 

Das Muster wird auch als Gewaltspirale bezeichnet, da die Ausbrüche oft immer häufiger und schwerer werden. Auch die Auswirkungen auf die Person, die häusliche Gewalt erleiden muss, werden mit jedem Gewaltausbruch schwerwiegender.

Es ist wichtig, diese Dynamik zu kennen, um zu verstehen, weshalb Frauen oft lange bei ihrem gewaltausübenden Partner bleiben und es ihnen schwerfällt, aus der Gewaltspirale auszusteigen. Manchmal kehren sie sogar nach einem Aufenthalt im Frauenhaus zum Partner zurück in der neuerlichen Hoffnung, dass nun alles besser wird.

 

Warum bleibt eine Frau bei ihrem gewalttätigen Partner?

  • Aus Angst, dass die Gewalt zunimmt. Tatsächlich steigt das Risiko, geschlagen und getötet zu werden, wenn eine Frau ihren gewalttätigen Partner verlassen will.
  • Um die Beziehung und die Familie zu retten. Oft besteht die Hoffnung, dass sich der Partner (der oftmals auch der Vater gemeinsamer Kinder ist) doch noch ändert.
  • Aus rechtlichen Gründen oder aus Angst, bei einer Trennung das Aufenthaltsrecht zu verlieren. Tatsächlich wird trotz der Härtefallbestimmung, die Migrantinnen seit 2005 besser vor häuslicher Gewalt schützen soll, in der Praxis oft gegen die Betroffenen entschieden.
  • Aufgrund emotionaler Abhängigkeit sowie Schuld- und Schamgefühlen. Viele Frauen getrauen sich nicht, sich aus einer gewaltgeprägten Beziehung zu lösen oder haben das Gefühl zu versagen, wenn sie gehen – auch gegenüber den Kindern.
  • Aufgrund falscher Loyalität. Manchmal verteidigt die Frau den gewalttätigen Partner und dessen Verhalten («Stockholm-Syndrom»).
  • Weil Perspektiven fehlen. Viele Frauen wissen nicht, wohin sie gehen sollen und wie sie alleine für sich und ihre Kinder aufkommen können.
  • Weil ein soziales Netz fehlt. Besonders ausländische Frauen sind oft alleine und können sich sprachlich schlecht verständigen.

 

Ohne Hilfe von aussen, ob durch nahestehende Personen oder durch Fachpersonen, ist es für die Betroffenen sehr schwierig, die gewaltgeprägte Beziehung und den Gewaltkreislauf zu verlassen. Oft dauert dieser Prozess mehrere Jahre, braucht viele Anläufe und starke Unterstützung von aussen.

 

Ursachen und Einflussfaktoren von häuslicher Gewalt


Wie häufig ist häusliche Gewalt?

Häusliche Gewalt kommt häufig vor. Weltweit erlebt jede dritte bis vierte Frau mindestens einmal in ihrem Leben Gewalt in der Partnerschaft (WHO 2013).

 

In der Schweiz verzeichnete die polizeiliche Kriminalstatistik im Jahr 2023 insgesamt 19’918 Straftaten im Bereich häusliche Gewalt. Dabei kam es zu 25 Tötungsdelikten. Dies entspricht fast der Hälfte aller polizeilich registrierten Tötungsdelikte in der Schweiz (Total: 53) und bedeutet, dass in der Schweiz alle zwei Wochen eine Person infolge häuslicher Gewalt stirbt. 16 Tötungsdelikte ereigneten sich in einer aktuellen oder ehemaligen Partnerschaft. Es handelte sich dabei um 14 Frauen und zwei Männer. Hinzu kommen zahlreiche Fälle der Gewalt gegen Kinder.

 

Die Situation im Kanton Zürich

Allein im Kanton Zürich muss die Polizei rund 20 Mal pro Tag wegen häuslicher Gewalt ausrücken. Sie erlässt täglich drei Gewaltschutzverfügungen.

Die gesetzliche Lage

Häusliche Gewalt ist strafbar! Verschiedene nationale, kantonale sowie internationale Gesetze regeln die Straftatbestände in der Schweiz sowie das Recht auf Schutz und Unterstützung der gewaltbetroffenen Personen und ihrer Kinder. Die Unterstützung umfasst medizinische, psychologische, juristische und finanzielle Soforthilfe sowie auch langfristige Hilfsangebote.

 

Das Opferhilfegesetz (OHG)

Seit 1993 gibt es in der Schweiz das «Bundesgesetz über die Hilfe an Opfer von Straftaten» (Opferhilfegesetz, OHG). Das OHG beschreibt die Rechte von Personen, die durch eine Straftat in ihrer körperlichen, psychischen oder sexuellen Integrität beeinträchtigt wurden. Recht auf Unterstützung durch die Opferhilfe haben auch Personen, die der gewaltbetroffenen Person nahestehen, namentlich ihre Kinder. Die Opferhilfe umfasst:

  • kostenlose Beratung durch eine kantonale Opferberatungsstelle
  • finanzielle Leistungen, zum Beispiel Übernahme der Kosten für den Aufenthalt in einem Frauenhaus sowie für erste medizinische oder juristische Abklärungen
  • Information und Unterstützung in einem laufenden Strafverfahren

 

Wer häusliche Gewalt erlebt, hat also das Recht auf Schutz sowie auf sofortige professionelle medizinische, psychologische und juristische Unterstützung. Die kantonalen Opferberatungsstellen organisieren bei Bedarf auch eine Unterkunft, zum Beispiel im Frauenhaus, und übernehmen die Kosten dafür. Im Kanton Zürich wird die Notunterkunft im Frauenhaus für die ersten 35 Tage finanziert (mit Antragsmöglichkeit auf Verlängerung). Das Recht auf Leistungen der Opferhilfe besteht unabhängig davon, ob eine Strafanzeige erfolgte.

Opferhilfegesetz (OHG)

 

Das Gewaltschutzgesetz (GSG) im Kanton Zürich

Neben den im ZGB geregelten Gewaltschutzmassnahmen gibt es auch auf kantonaler Ebene Gesetze für den Erlass von Gewaltschutzmassnahmen. Im Kanton Zürich gilt seit 2007 das Gewaltschutzgesetz (GSG), wonach die Polizei «die zum Schutz notwendigen Massnahmen» anordnen kann. Dank diesen Massnahmen kann eine akute Gewaltsituation gestoppt und die gewaltbetroffene Person geschützt werden. Die Polizei kann für jeweils 14 Tage drei Arten von Schutzmassnahmen anordnen:

  • Wegweisung aus dem Haus oder der Wohnung
  • Betretverbot für bestimmte Strassen und Quartiere (Rayonverbot)
  • Kontaktverbot mit der gefährdeten Person und allenfalls deren Kindern

Gewaltschutzgesetz (GSG) im Kanton Zürich

 

Das Strafgesetzbuch (StGB)

Im Schweizerischen Strafgesetzbuch (StGB) ist häusliche Gewalt nicht als eigener Straftatbestand definiert. Das StGB führt jedoch Straftatbestände auf, die dem Bereich der häuslichen Gewalt zugeordnet werden können:

  • Tötung (Art. 111–113)
  • Schwere Körperverletzung (Art. 122)
  • Einfache Körperverletzung (Art. 123 Abs. 2)
  • Einmalige oder wiederholte Tätlichkeiten (Art. 126)
  • Beschimpfung (Art. 177)
  • Drohung (Art. 180)
  • Nötigung (Art. 181)
  • Zwangsheirat (Art. 181a)
  • Hausfriedensbruch, zum Beispiel bei Stalking (Art. 186)
  • Sexuelle Handlungen mit Kindern (Art. 187)
  • Sexuelle Nötigung und Vergewaltigung (Art. 189 und 190)
  • Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht (Art. 219)

Strafgesetzbuch (StGB)

 

Das Zivilgesetzbuch (ZGB)

Das Schweizerische Zivilgesetzbuch (ZGB) regelt die Unterstützung und den langfristigen Schutz gewaltbetroffener Personen auf nationaler Ebene. Im ZGB sind auch die Gewaltschutzmassnahmen geregelt. Diese bestehen in einem Annäherungsverbot, einem Kontaktverbot und/oder der Wegweisung aus der ehelichen Wohnung. Die betroffene Person muss dafür beim zuständigen Zivilgericht einen Antrag stellen. Das ZGB umfasst auch Kindesschutzmassnahmen für den Fall von häuslicher Gewalt gegen Kinder.

Zivilgesetzbuch (ZGB)

 

Das Ausländer- und Integrationsgesetz (AIG)

Das «Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration» (Ausländer- und Integrationsgesetz, AIG) umfasst auch Bestimmungen zum Schutz von Personen, die in der Schweiz von häuslicher Gewalt betroffen sind und nicht über die Schweizer Nationalität verfügen. Häusliche Gewalt kann bei einer Trennung ein ausschlaggebender Grund dafür sein, dass die gewaltbetroffene Person eine eigenständige, vom Partner unabhängige Aufenthaltsbewilligung erhält (Art. 50).

Ausländer- und Integrationsgesetz (AIG)

 

Die Istanbul-Konvention

Das «Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt» (kurz Istanbul-Konvention) wurde 2011 verabschiedet. Das Abkommen umfasst die vier Handlungsfelder Gewaltprävention, Gewaltschutz, Strafverfolgung und Zusammenarbeit der verschiedenen relevanten Player. 2018 hat sich auch die Schweiz verpflichtet, die in der Istanbul-Konvention festgelegten Bestimmungen zu erfüllen. 2022 haben der Bund, die Kantone und Gemeinden in einem Nationalen Aktionsplan konkrete Massnahmen zur Umsetzung der Istanbul-Konvention festgelegt.

  • Prävention: Mit Kampagnen und Programmen zur Sensibilisierung und Aufklärung über Gewalt gegen Frauen soll häusliche Gewalt verhindert und vermindert werden.
  • Schutz und Unterstützung: Gewaltbetroffene Frauen sollen Zugang zu Schutz sowie zu medizinischer Versorgung und rechtlicher Unterstützung
  • Strafverfolgung: Gewaltstraftaten werden von den Schweizer Behörden rigoros verfolgt und gewaltausübende Personen zur Verantwortung gezogen.
  • Koordination und Zusammenarbeit: Die Polizei, die Justiz, die Sozialdienste und andere relevante Akteure arbeiten unter Einbezug der Zivilgesellschaft koordiniert zusammen, um häusliche Gewalt effektiv zu bekämpfen und zu verhüten.

Istanbul-Konvention