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Die Frage, ob der Täter (oder die Täterin) angezeigt werden soll, lässt sich oft nicht so einfach beantworten. Im Vordergrund steht bei den meisten gewaltbetroffenen Frauen (und Kindern) vor allem der Wunsch, dass die Gewalt aufhört.

Grundsätzlich ist es richtig, begangene Straftaten anzuzeigen, für die eigenen Rechte einzustehen und Gewalt nicht hinzunehmen. Gewalttätige Personen müssen für ihr Handeln Verantwortung übernehmen. Es kann eine stärkende und befreiende Erfahrung werden, sich gewehrt zu haben und Recht bekommen zu haben. Auch dies kann für die Verarbeitung des Erlebten ein wichtiges Moment sein.

Welcher Weg für eine Klientin der richtige ist, kann allein sie entscheiden. Ihre Entscheidung muss in jedem Fall respektiert werden.

Die Scham ist bei Opfern von häuslicher Gewalt oft sehr hoch. Diese zu überwinden und die Taten öffentlich zu machen, ist jedoch nicht einfach. Es ist auch schwierig, den Vater der eigenen Kinder anzuzeigen oder den Mann, den man geliebt hat oder immer noch liebt.

Eine Anzeige kann die Gefährdungssituation verschlimmern, selbst wenn der Täter inhaftiert wird. So können etwa auch andere Familienangehörige des Täters Gewalt ausüben, auch als Reaktion auf die Anzeige.

Insbesondere bei sexueller Gewalt kann das Verfahren mit langen und detaillierten Vernehmungen retraumatisierend wirken.

Ein Verfahren kann sehr lange dauern, was den Schritt in ein neues, unabhängiges Leben verzögern kann. Die Vergangenheit kann nicht abgeschlossen werden, unter Umständen sind mehrfache Begegnungen mit dem Täter nötig.

Nicht zuletzt folgt auf eine Anzeige nicht selten eine Gegenanzeige wegen Falschaussage – was eine weitere Form von Gewalt ist, wenn die Taten tatsächlich begangen wurden. Auch wenn es zu einer Verurteilung kommt, genügt das Strafmass gemäss subjektivem Empfinden oft nicht.

Insgesamt braucht eine Anzeige viel Kraft. Nicht selten ist dies in einer akuten Notsituation mit einer langjährigen Leidensgeschichte zu viel verlangt.